Heute. Für morgen. Für Kiwi.
Wie die ÖBB das Leben meiner Hündin rettete
Die Nacht von Samstag auf Sonntag begann eigentlich recht gemütlich. Mein Partner und ich hatten uns kurz nach Mitternacht auf einen Film geeinigt, als meine Hündin, Kiwi, signalisierte, dass sie wohl noch einmal nach draußen gehen wollte. Da sie, wie immer wenn sie ihren Willen durchsetzen möchte, besonders niedlich war und uns ungefragt einige Kunststücke präsentierte, war es unmöglich, ihr zu widerstehen. Nach kurzer Absprache mit mir leinte mein Partner sie an, um mit ihr eine kleine Runde um den Block zu gehen.
Etwa zwanzig Minuten wartete ich bereits ungeduldig auf die beiden, die Vorfreude auf den ausgesuchten Film ‚Das Schwiegermonster’ war groß, als ich ein komisches Bauchgefühl bekam. Normalerweise sollte eine schnelle Gute-Nacht-Runde nicht so lange dauern. Bald darauf vernahm ich durch das gekippte Fenster neben mir ein eigenartig klingendes Bellen in der Ferne, das mir durch Mark und Bein ging, und ein Gedanke schoss durch meinen Kopf: „Bitte, bitte, mach, dass er jetzt nicht anruft. Mach, dass das nicht Kiwis Bellen war.“
Da klingelte bereits mein Handy, zu meinem Leidwesen vernahm ich den Klingelton, den ich meinem Partner zugeteilt hatte.
„Kiwi ist weg.“
In diesem Moment stand für mich die Zeit still. In mir wurde es schlagartig leer und kalt.
Ich hatte Kiwi am 28. Juli 2020 in einer für mich sehr schwierigen Lebensphase adoptiert. Es ist, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich das verschwommene Bild eines kleinen schwarzen Fellknäuels mit dem Namen ‚Emilia’ auf der Website einer Organisation namens ‚Hund sucht Hütte‘ entdeckt hatte. Sofort hatte ich beschlossen, diesem kleinen Wesen die Chance auf ein neues Leben geben zu wollen. Kaum eine Woche später hielt ich meine Kiwi zum ersten Mal in den Armen, nachdem sie mich zur Begrüßung kräftig angebellt hatte. Da zeigte sich bereits ihr starker Charakter! Der Entschluss, ihr den Namen ‚Kiwi‘ zu geben, kam daher, dass erstens meine beste Freundin ebenfalls Emilia heißt, und zweitens weil der kleine Welpe gemeinsam mit ihren Geschwistern in einer Obstkiste in Kroatien gefunden worden war. So begann vor fast drei Jahren ein neues Leben für uns beide.
Mein Partner war panisch und wahrscheinlich den Tränen nicht nur nahe. Sie hatte etwas wahrgenommen, gerochen oder gesehen, das er nicht bemerkt hatte. Was auch immer es war, es hatte Kiwi scheinbar dermaßen verängstigt, dass sie wie von der Tarantel gestochen auf und davon rannte. In meinem Kopf legte sich ein Schalter um, ich begann, wie ferngesteuert zu funktionieren. Stoisch verkündete ich ihm, ich wäre bereits auf dem Weg nach draußen. Ich versuchte, lösungsorientiert zu handeln, wohl wissend, dass niemand davon profitieren würde, wenn ich die Nerven wegschmiss. Daher versuchte ich mit aller Macht, ruhig zu bleiben. Eine schwere Aufgabe, hing doch die Sorge über die Hündin, die ich groß gezogen hatte, über mir wie das Damoklesschwert.
Nachdem wir beide jeweils einen gewissen Radius durchkämmt hatten, beschloss ich schweren Herzens, dass die notwendigen Schritte nun eingeleitet werden mussten. Ich nahm Kontakt zur Facebook-Seite ‚Hund-Such-Hilfe‘ auf, informierte die Polizei und meldete Kiwi via animaldata als vermisst. Die Polizeibeamten teilten mir mit, dass es keine Sichtungen gab, die zu Kiwis Beschreibung passten, und auch trotz der tatkräftigen Unterstützung der ‚Hund-Such-Hilfe‘ und deren Facebook Follower gab es keinerlei Anhaltspunkte.
Bis in die frühen Morgenstunden suchten wir meine verschwundene Maus zu zweit, danach beschlossen wir, dass wir uns ausruhen mussten. Es würde keinen Sinn machen, körperlich und geistig entkräftet die Suche fortzusetzen. Natürlich fiel es sowohl meinem Partner als auch mir wahnsinnig schwer, überhaupt einzuschlafen, da in unseren Köpfen ein Tornado der Sorge tobte.
Nach einem kurzen, unruhigen Schlaf kontaktierte ich weitere Freunde, unter anderem die oben genannte Freundin Emilia, die sich kurzerhand bereit erklärten, bei der Suche aktiv zu helfen. Wir entwarfen ein Vermisstenplakat, druckten es vielfach aus und machten uns, nun zu viert, auf die Mission mit dem Ziel, Kiwi nach Hause zu bringen. Die ganze Sache kam uns sehr seltsam vor. Mittlerweile war sie über zwölf Stunden abgängig, wenn sie irgendjemand gesehen hätte, wären wir darüber informiert worden. Daher nahmen wir zu diesem Zeitpunkt an, dass sie sich aus Angst irgendwo versteckt hatte. Das befreundete Paar, das uns bei der Suche half, brachte deshalb auch deren Hund Edgar mit, da er Kiwis bester Freund ist und wir in der Hoffnung waren, dass sein Geruch sie anlocken würde.
Die Stunden verstrichen schneller, als uns lieb war, und dennoch blieb unsere Suche erfolglos, obwohl wir immer größere Kreise zogen um die Stelle, wo sie weggelaufen war. Leider blieben auch die Posts auf Facebook, die zahlreich geteilt wurden, ohne einen Hinweis auf den Verbleib von Kiwi. Lediglich ein Anruf kam rein mit dem Verdacht auf eine mögliche Sichtung, wie sich aber schnell herausstellte, war das ein anderer Hund.
Wir legten erneut eine Pause ein, zumal wir alle sehr erschöpft waren und eine meiner Freundinnen Kreislaufprobleme bekam. Und dann, als ich am Ende meines letzten Nervs angekommen war, geschah ein Wunder.
Um 15.56 Uhr erreichte mich ein Anruf. Kiwi war gefunden worden. Sie war am ÖBB-Gelände beim Matzleinsdorfer Platz aufgetaucht, was tatsächlich doppelt so weit entfernt war wie die größte Entfernung, in der wir gesucht hatten. Ein sehr aufmerksamer und engagierter Lokführer namens Stefan Altenburger hatte es geschafft, Kiwi einzufangen und in einem abgestellten Zugabteil zu sichern. Wie ich später erfuhr, kümmerten sich einige Angestellte um meine Hündin, unter anderem Andreas Wagner, der ihr zu trinken gab.
Um keine weitere Zeit zu vergeuden, setzte ich mich in ein Taxi und ließ mich zum Margeretengürtel 35 bringen. Dort erwartete mich bereits bei der Abbiegung ein ÖBB-Mitarbeiter, der mich dann ein weiteres Stück mit dem Auto zu dem abgestellten Waggon brachte. Einige weitere Mitarbeiter und die Tierrettung des TierQuarTier Wien waren vor Ort. Die allesamt sehr freundlichen Arbeiter halfen mir, in den Waggon zu klettern, wo mich der Mann von der Tierrettung zu meiner Kiwi führte. Es handelte sich um ein Wiesel-Abteil, und meine Hündin lag ziemlich mittig, unter den Sitzen eines Vierer-Platzes versteckt. Als sie mich registrierte, freute sie sich zwar sichtlich, war aber aufgrund der massiven Erschöpfung und, wie ich in diesem Moment bemerkte, auch wegen ihrer Verletzungen kaum in der Lage, sich zu bewegen, abgesehen davon, dass sie extrem verängstigt war. Als mein Blick den ihren kreuzte, brachen bei mir alle Dämme und ich begann zu weinen, der ganze Schmerz und die Angst der letzten fünfzehn Stunden kamen heraus. Ich wusste aber, ich musste jetzt stark sein für Kiwi. Vorsichtig leinte ich sie an und führte sie aus dem Bereich mit den Sitzen. Mir wurde aus dem Waggon geholfen, ich nahm Kiwi in meine Arme wie ein großes rohes Ei, bedacht darauf, ihr nicht wehzutun, und wir brachten sie in das Auto der Tierrettung. Als wir sie genauer begutachten konnten, entdeckten wir eine zehn mal fünfzehn Zentimeter große Wunde an ihrer rechten Seite, und ihr Ringelschwänzchen sah gar nicht gut aus. Der Herr von der ÖBB, der mich hergebracht hatte, nahm noch meine Daten auf, und ich erfuhr, dass sie aus Angst leider einen anderen Mitarbeiter gebissen hatte.
An dieser Stelle möchte ich dem Herrn, dessen Namen ich leider in meinem emotionalen Stress nicht erfragt habe, danken. Seine Reaktion bringt mich jetzt noch zum Schmunzeln. Er fragte lediglich nach ihren Impfungen und ob sie krank sei, und verkündete, er würde sich eine Tetanus Spritze holen und damit hätte sich die Sache. Danke für diese außerordentlich ‚gechillte‘ Reaktion!
Danach machten mein Partner und ich uns auf den Weg mit Kiwi in die Vetklinik auf der Laxenburgerstraße, nach Empfehlung meines Tierarztes, der leider nicht in der Stadt war an diesem Tag. Kiwi wurde dort äußerst kompetent versorgt, die große Wunde seitlich konnte wie durch ein Wunder genäht werden, allerdings musste leider ihr halbes Ringelschwänzchen amputiert werden. Die erste Nacht musste sie in der Klinik verbringen, dann konnte sie zurück zu uns nach Hause.
Wunden heilen, das einzige was zählt, ist, dass sie lebt, und das hat sie unzähligen Schutzengeln zu verdanken, und ich kann ungelogen sagen, einige davon haben keine Flügel und arbeiten bei der ÖBB!
Autorin: Magdalena Steiner